„Flüchtlings-‚Krise‘ – Wird Europa zur Festung?“

Am Mittwoch, dem 11.5.2016, fand der alljährliche Europatag am städtischen Cecilien-Gymnasium statt. Schülerinnen und Schüler der Stufe 11 beschäftigten sich zu diesem Anlass mit der Flüchtlingsfrage, insbesondere dem sogenannten Flüchtlings-Deal mit der Türkei, der Griechenlandkrise, dem Problem des Rassismus und des Rechtspopulismus sowie dem Einfluss der Sprache auf die Flüchtlingsdebatte.

Diskussion in AulaStefan Engstfeld, ein Mitglied der Landtagsfraktion der Grünen in NRW, sprach in seiner Rede die Allgegenwärtigkeit der Europäischen Union in der Kommunalpolitik an und machte darauf aufmerksam, dass so die Entscheidungen aus Brüssel auch Nordrhein-Westfalen beträfen. Außerdem wurde über die aktuelle Flüchtlingsfrage gesprochen, besonders die Schließung der Balkanroute. Stefan Engstfeld meint: „Europa lebt von offenen Grenzen.“ Der Schengenraum sei eine der wichtigsten europäischen Errungenschaften. Indem man Grenzzäune in Europa errichte, würde die Union sich lediglich selbst schaden. Ebenso seien Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit unveräußerliche Werte, die es in jedem Fall zu schützen gelte. Um die Europäische Union aufrecht zu erhalten, müsse man sich daran erinnern, dass es sich bei der EU um eine Solidargemeinschaft handele. Es gehe um ein Geben und Nehmen, so dass auch die Flüchtlinge gerecht unter den Mitgliedstaaten verteilt werden müssten. Schließlich könne man Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie für ganz Europa nur durch Gemeinschaft erreichen.

Nach Engstfelds Rede folgte eine Diskussionsrunde über den Umgang mit Flüchtlingen, die Möglichkeit durch den Flüchtlingsstrom Terroristen einzuschleusen und denkbare europäische Regelungen der Flüchtlingsaufnahme und -verteilung. Dabei betonte Stefan Engstfeld: „Asyl ist ein Menschenrecht.“

Kamil Basergan vom Jugendmigrationsdienst Düsseldorf stellte anschließend das Projekt „Lernorte“ vor. Ziel ist es, jugendliche Flüchtlinge zu unterstützen, um ihren Bildungsweg zu erleichtern und Chancengleichheit sowie die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben zu erleichtern.

Zusammen mit Herrn Basergan kamen auch zwei junge Teilnehmer des „Lernorte“-Programms mit eigener Fluchtgeschichte. Der 12-jährige Maxim und der 15-jährige Daniel stellten sich den Schülern vor und beantworteten Fragen. Daniel kam per Familiennachzug nach Deutschland und hat nun den Wunsch sein Abitur zu machen, um Informatik zu studieren. Maxim floh aus Homs. Er schaut nur ungern Nachrichten, weil ihn die Bilder und Neuigkeiten über die Toten in seiner syrischen Heimat traurig machen.

Bereits nach wenigen Sätzen bekam man den Eindruck, die beiden Jugendlichen schon zu kennen. Sie hatten so gar nichts Fremdartiges an sich und hätten Schüler des Cecilien-Gymnasiums sein können. Ihre Hoffnungen und Wünsche unterscheiden sich nicht von denen wohl aller Menschen: Familie, Bildung, Gestaltungsmöglichkeiten für die Zukunft und vor allem Frieden und Sicherheit. Hier wurde deutlich, dass diese Dinge keineswegs selbstverständlich sind, das Streben danach aber alle Menschen eint. Maxim und Daniel hinterließen an diesem Europatag den wichtigsten Eindruck bei mir.

Danach fanden verschiedene Workshops zum Thema statt. Eine Gruppe setzte sich mit Rassismus und Vielfalt in Jugendmedien unter dem Titel „Bilder im Kopf“ auseinander. Ein anderer Workshop nannte sich „Worte machen Leute“ und beschäftigte sich mit dem Einfluss der in der Flüchtlingsdebatte verwendeten Sprache auf unsere politische Haltung und Entscheidungen aus der Sicht der Psycholinguistik. Beispielsweise wird mit dem Wort „Flüchtlingswelle“ der Eindruck einer Naturkatastrophe geweckt und individuelle menschliche Schicksale, die einen empathischen Zugang ermöglichen würden, geraten durch diese Metapher in den Hintergrund. Auch der immer stärker werdende Rechtspopulismus wurde untersucht: „Endlich Krise!? – Das Erstarken des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Europa“. Zusätzlich wurde der Flüchtlings-Deal mit der Türkei analysiert und dabei die Frage gestellt, ob die EU gerade dabei sei, ihre Werte zu verkaufen.

Stefan Engstfeld sagte, die Europäische Union befinde sich an einem Scheideweg. Es sei also wichtig, sich die Errungenschaften und Vorteile Europas vor Augen zu führen, um die Union mit all den Vorteilen zu erhalten, die uns inzwischen selbstverständlich erscheinen. Der Politiker betonte, Europa sei aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges entstanden und habe Frieden auf den Kontinent gebracht.

Vor diesem historischen Hintergrund erscheint es problematisch, wenn Europa zu Festung wird und sich abschottet vor den Problemen von Menschen in anderen Regionen der Welt. Es ist Teil europäischer Verantwortung, Menschen, die Frieden und Schutz suchen, zu helfen. Dabei ist zu hoffen, dass der Krieg in Syrien bald endet, um diesem Land sowie dem gesamten mittleren Osten eine ähnliche Entwicklung zu ermöglichen und den Bewohnern die Chance zum Wiederaufbau und einem friedlichen Leben zu geben.

Der diesjährige Europatag eröffnete sehr unmittelbare Blickwinkel auf das Thema Europa und die dort schon lebenden oder dort hinstrebenden Flüchtlinge aus anderen Kulturkreisen der Welt.

In den letzten Monaten verging kaum ein Tag, an dem man keine Meinung zu diesem Thema hörte, sowohl von Entscheidungsträgern als auch von Bürgern unterschiedlichster Gesinnung. Vor diesem Hintergrund überdenkt man zwangsweise immer wieder die eigene Einstellung und das eigene Verhalten. Der Europatag brachte das Geschehen näher an uns heran, zeigte einen anderen Blickwinkel und half so, den persönlichen Standpunkt zu finden. Trotz Kritik und Schwierigkeiten lohnt es sich, für ein offenes Europa zu kämpfen und nicht müde zu werden, Menschlichkeit zu leben. Die Ziele der Menschen aller Völker sind ähnlicher, als man zunächst glaubt und die Angst vor Überfremdung ist fehl am Platz.

Greta Hempelmann
Schülerin der Q1

 

Europatag 2016
Markiert in:
Cecilien-Gymnasium