Gruppe im Gespräch„Das Leben ist reich.“ So lautete ein scheinbar beiläufig formulierter Satz der Zeitzeugin Monika von Wysocki, die dem Geschichts-Projektkurs des Cecilien-Gymnasiums, einen Einblick in das Leben eines deutsch-polnischen Mädchens aus Puck zur Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs gewährte. Und dieser Satz sollte sich mit Blick auf diese besondere Lebensgeschichte bewahrheiten.
Nachdem sich der diesjährige Projektkurs intensiv mit dem deutsch-polnischen Verhältnis  beschäftigt hatte, trafen sich alle im Düsseldorfer Gerhardt-Hauptmann-Haus, wo man gemeinsam mit Monika von Wysocki auf geschichtliche Spurensuche begeben wollte.
Monika von Wysocki ist eine ehemalige Deutschlehrerin, die sowohl in Düsseldorf als später auch in Polen unterrichtet hat. Geboren wurde sie in dem kleinen Städtchen Puck im heutigen Polen. Die wechselvolle Geschichte dieses Ortes in der Danziger Bucht spiegelt sich auch in der Familiengeschichte der von Wysockis.

Die Eltern waren deutsche Grundbesitzer und führten in Puck ein Landgut mit einigen Mitarbeitern. Nach dem Ersten Weltkrieg, als der Staat Polen nach über hundertjähriger Teilungsgeschichte wiederhergestellt worden war, war der Grund der Familie Wysocki auf einmal Teil des polnischen Staatsgebietes. Die Eltern entschieden sich dennoch, auf ihrem Land zu bleiben und damit ohne Umzug die staatliche Zugehörigkeit zu wechseln.
Monika von Wysocki ging auf eine polnische Schule, die Eltern, die selbst kein Polnisch sprachen, erzogen sie auf Deutsch. So kam sie schon früh in einen inneren Konflikt zwischen zwei verschiedenen Sprachen, Nationalitäten und Identitäten, da die Schule oftmals etwas anderes lehrte als ihr Vater. In dieser Zeit begann sie, ein Tagebuch zu führen, das als Ausdruck dieser Zerrissenheit und Mischidentität, aber auch auf Vorschlag des Vaters Seite für Seite abwechselnd auf Polnisch und auf Deutsch verfasst wurde.
Eindrucksvoll und sprachgewandt schilderte Monika von Wysocki die im Verlauf der dreißiger Jahre zunehmenden Spannungen zwischen Polen und Deutschen, war doch der vor allem vom nationalsozialistischen Deutschland so genannte „Korridor“, in dem sich das Städtchen Puck befand, das vornehmliche Ziel revisionistischer deutscher Ansprüche.
Monika von Wysocki selbst besuchte als Jugendliche ein Gymnasium in der nahe gelegenen Großstadt Danzig. Sie erinnerte sich, wie wohl sie sich dort gefühlt und wie sehr die Beschäftigung mit der polnischen Sprache und Literatur ihre Identität geprägt habe. Besonders prägend sei auch ihr Lateinprofessor gewesen, bei dem sie während der Schulzeit auch ein Zimmer gemietet hatte. Doch schon bald musste diese Schule geschlossen werden. Mit dem Verlesen der Abschiedsszene aus Adam Mickiewiczs „Pan Tadeusz“, dem polnischen Nationalepos, habe eben jener Lehrer eine Wende angekündigt, es war ihre letzte gemeinsame Stunde. Ihren Professor selbst habe sie nie wiedergesehen. Gemeinsam mit dem Schulleiter wurden viele Lehrer der Schule als Teil der polnischen Elite gleich am ersten Morgen des Krieges erschossen.
Den Kriegsbeginn selbst erlebte sie dann jedoch auf dem Gut der Eltern. In ihrer Erinnerung verankert sei ein lautes und verstörendes „Brummen“, das – wie sich später herausstellen sollte – den Anflug dreier Flieger ankündigen sollte, die sie wenig später von ihrem Schlafzimmer aus am Himmel habe entdecken können und die ganz in der Nähe die ersten Bomben abwarfen. Dies stellte für die jugendliche Monika den ganz persönlichen Kriegsbeginn dar.
Neben einem prägenden Gespräch mit einem weinenden polnischen Offizier schilderte Monika von Wysocki den ersten Kontakt mit deutschen Wehrmachtssoldaten, in dem ihre Deutschkenntnisse und ihre deutsche Herkunft hilfreich gewesen seien. Im elterlichen Gut wurden diese nun einquartiert. Die junge Monika begriff nun die Situation. Sie war wieder Deutsche. Einerseits habe sich nun vieles einfacher gestaltet – besonders für den Vater. Man sprach wieder deutsch. Dennoch habe sich eine innere Zerrissenheit aufgetan zwischen ihrer polnischen Prägung und der nun in aller Offenheit ausgelebten Ideologie der neuen Herrscher. Die damit verbundenen politischen Säuberungen sowie die Diskriminierung der polnischen Mitbürger erschreckten und schockierten sie ebenso wie die öffentlichen Verhaftungen und Abführungen von bekannten Gesichtern. Von Wysocki wurde Zeugin öffentlicher Deportationen und Verladungen in einen nahegelegen Wald, wo die Deportierten, oftmals auch Frauen, erschossen wurden.
Doch auch das spätere Kriegsende kam für sie ähnlich abrupt wie der Anfang. Am achten Mai besuchten russische Generäle ihr Gut und tagten und ehrten dort verschiedene Soldaten. Ein paradoxes Erleben habe die Erinnerungen an diesen Tag geprägt. So sei es doch ein eigentlich recht idyllisches Bild gewesen, wie die zum Teil hoch dekorierten russischen Offiziere und Generäle unter den blühenden Kirschbäumen im Garten gesessen und gegessen hätten.
Ein befreundeter polnischer Kommunist, der vorher die Unterstützung der Familie erhalten hatte, warnte ihren Vater jedoch schon bald vor der sich anbahnenden Bodenreform und der möglichen Enteignung ihres Gutshofes. Eigentlich habe die Familie nicht im Traum daran gedacht, das Gut zu verlassen, doch sei danach alles sehr schnell gegangen. An einem Tag bekamen sie wieder Besuch, diesmal von den neuen Herrschenden. Innerhalb weniger Stunden musste die Familie den Hof verlassen. Mitnehmen konnte sie nur das Nötigste. Auch das Tagebuch mit all den Erinnerungen habe zurückbleiben müssen. Über ein Stettiner Auffanglager ging es nach Düsseldorf, wo sie ihr Abitur nachholte, studierte und später Deutschlehrerin wurde. An einer Abendschule unterrichtete sie parallel Polnisch und nach ihrer Pensionierung ging Monika von Wysocki zurück in ihre ehemalige und alte Heimat, wo sie dann polnischen Kindern Deutsch beibrachte.
Bitterkeit über das Erlebte, gar über den Verlust der Heimat findet man bei Monika von Wysocki nicht. Das Besondere und Vorbildhafte an ihrem Lebenslauf ist jene ihr Leben prägende Begegnung und Verbindung zweier Identitäten und die daraus entstandene Bereitschaft Brücken zu bauen, der Einsatz für Versöhnung und Verständigung.
Ein besonders schöner Mosaikstein ihrer Geschichte ist die Wiederkehr ihres Tagebuchs, das uns durch das Gespräch leitete und in dem wir zum Abschluss selbst auch blättern und lesen durften. Denn nachdem sämtliche Besitztümer ihrer Familie beschlagnahmt und auf einem Platz zusammengetragen wurden, nahm sich eine Freundin ihrer Tagebücher an. Als Monika von Wysocki vierzig Jahre später Puck wieder besuchte, traf sie ebendiese Frau, von der sie bei ihrem Besuch des ehemaligen elterlichen Guts gleich erkannt und fröhlich begrüßt wurde. Über all die Jahre hatte die damalige Schulfreundin die Tagebücher aufbewahrt und so kamen diese wieder in die Hände ihrer Autorin.
„Das Leben ist reich.“ Kein Zitat beschreibt wohl ihren von Konflikten und auch von negativen Erfahrungen geprägten Lebensweg, auf dem sie dennoch immer das Positive hat sehen und suchen wollen, besser. Und mit diesen Worten und dem Apell, eben diesen Reichtum wertzuschätzen, entließ Monika von Wysocki uns aus einem spannenden, aufwühlenden und sicher lange nachhaltenden Gespräch.

Max Friedrichs u. Tobias Lüpges
für den Projektkurs „Der unbekannte Nachbar – So nah und doch so fern? Eine Spurensuche zum polnisch-deutschen Verhältnis“

„Das Leben ist reich“ – Zeitzeugengespräch im Gerhart-Hauptmann-Haus
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